Wie Führungskräfte Krisen meistern - Eine analyse von trauma und konflikt

Um Krisen zu meistern, ist es wichtig sie bewusst zu erleben. Wir können dadurch Folgeschäden vermeiden. Ähnlich verhält es sich mit Traumata. Je bewusster und reflektierter traumatische Situationen (möglichst zeitnah) erlebt werden, umso geringer ist das Risiko langanhaltender Folgestörungen. Das ist nicht immer möglich. Schweren traumatischen Verhältnissen begegnet der Mensch aus Selbstschutz oft mit Verdrängungsmechanismen, insbesondere, wenn er sich allein in einer Krisensituation befindet und niemanden hat, mit dem er über das Geschehene reden kann. 

Erkenntnisse aus der Trauma- und Resilienzforschung können bei Konflikten im privaten oder Unternehmensumfeld herangezogen werden, um Lösungen zu finden, die die Gesundheit aller fördern und unterstützen. 

Ein System ist dann gesund, wenn seine einzelnen Teile gesund sind. So trägt jede Person im Team, jedes Individuum im Unternehmen mit seiner mentalen und physischen Gesundheit zum Erhalt der Organisation bei. 

Krankheit und Systemstörungen gehören zum Leben und sind nicht an sich schlecht. Sie sind Symptome, die uns vor Herausforderungen stellen, die uns – wenn gelungen gemeistert – auf das nächste (Gesundheits-) Level heben. 

Was uns in alten, starren und zum Teil kranken System verharren lässt ist das Nicht-Wahrhaben-Wollen des Problems, das Wegschauen und Ignorieren, oder das zu schnelle ‚Behandeln‘ von Symptomen. 

trauma - grundlagen

In der Traumaforschung wird deutlich, dass nicht jede Situation, die als traumatisches Ereignis zu bewerten ist, auch bei jeder Person zu einem Trauma führt. Was bedeutet Trauma? Ein Trauma ist eine Wunde. Sie entsteht in der Reaktion auf ein Ereignis, das in irgendeiner Weise zu schlimm und/ oder zu lang war, um direkt verarbeitet und in die Persönlichkeit integriert zu werden. Neben den Traumata, die aus Gewalterfahrungen resultieren (Krieg, Missbrauch, körperliche Gewalterfahrungen) gibt es die Entwicklungstraumata, die in der (meist frühen) Kindheit entstehen. Es handelt sich bei beiden um Erlebnisse, die zu Ohnmacht führten, also zu der Erfahrung, dass die Situation nicht kontrolliert werden kann und man „ohne Macht“ ist, dem/ den anderen oder der Situation (Naturkatastrophen gehören auch dazu) ausgeliefert. 

Dieses Ausgeliefertsein ist bei Säuglingen ein natürlicher Zustand. Im positiven Sinne wird es als Einheit oder Verbundenheit mit der Mutter erlebt. Säuglinge und Kleinstkinder können noch nicht für sich sorgen, sie können ihre Gefühle noch nicht selbst regulieren und sind permanent auf die Reaktionen ihrer Umgebung angewiesen. Das feinfühlige Reagieren der Bindungsperson auf den Säugling gilt als Schutzfaktor für die menschliche Psyche. Im Gegenzug bedeutet das Unterlassen von Reaktionen enormen Stress für das Kind. Wenn Eltern zum Beispiel (nicht selten „Erziehungsratgebern“ folgend) das Kind über längere Zeiträume schreien lassen, so kann das langwierige Folgen haben. Der renommierte Bindungsforscher Karl-Heinz Brisch schreibt dazu:

Nimmt eine Mutter ihr Kind nicht auf den Arm, wenn es weint, entsteht Stress. Der Säugling wird immer weiter weinen, bis er schließlich in einen Zustand gerät, in dem er Panik und Todesangst erlebt, sich vollkommen ausgeliefert, ohnmächtig und alleine fühlt. Dann reagiert er auch auf Ansprache nicht mehr. Auf der körperlichen Ebene kommt es zu einer Erregung des Nervensystems, das für Kampf und Flucht verantwortlich ist. Weil er sich aus der stressvollen Situation nicht selbst befreien kann, wird er von einem Moment zum nächsten stumm, er „friert“ gleichsam „ein“. Das ist eine Notfallreaktion des Gehirns, bei der alle Gefühle wie Panik oder Angst ausgeschaltet werden. Das Kind stellt sich quasi äußerlich tot, während im Inneren die übergroße Erregung erhalten bleibt.

Dies führt dazu, dass noch viele Jahre später, auch im Erwachsenalter, scheinbar unerklärliche Symptome und Schmerzen auftreten können, die aus dieser Zeit stammen. Von außen gesehen schauen diese Babys starr in eine Ecke und sind nicht mehr ansprechbar, oder sie erschlaffen und schlafen vor Erschöpfung ein.

Quelle: Spielundzukunft.de gilt a

Diese Botschaft hat das Kind erhalten: „Es kommt niemand. Ich bin allein.“ Und entsprechend handelt es oft noch als Erwachsener. Das kann soweit gehen, dass man ernst gemeinte Bindungs- oder Unterstützungsangebote nicht erkennt bzw. nicht annehmen kann und es tunlichst vermeidet auf andere angewiesen zu sein. 

Ein weiteres Beispiel ist Missbrauch im Kindesalter. Begonnen bei einem Schlag auf den Kopf von einem überlasteten Elternteil bis hin zu sexuellem Missbrauch durch Verwandte, Bekannte oder auch fremde Täter. Das Kind ist immer in einer Ohnmachtsstellung, allein aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit, aber besonders auch wegen der emotionalen Abhängigkeit von der Familie.  Der Missbrauch wird in der Regel tabuisiert und der Täter zwingt das Kind darüber zu schweigen. Hier kommen wir zu einem Faktor, der das Trauma begünstigt: Niemandem zum Sprechen haben. Wenn erlebte Ereignisse nicht besprochen werden können, bleiben sie diffus. Kinder tendieren dazu sich selbst die Schuld dafür zu geben. So ein ungelöster Konflikt programmiert Verhaltensmuster, die bis ins hohe Erwachsenenalter anhalten können, ohne jedoch dem Ereignis zugeordnet zu werden. Wir kennen alle Menschen, die in bestimmten Situationen scheinbar überreagieren, zum Beispiel einen Wutanfall aufgrund einer Lapalie bekommen, oder die sich seltsam still verhalten und zurückziehen, wenn etwas von ihnen verlangt oder ein bestimmtes Thema besprochen wird.  Ein ungelöstes Trauma zieht so eine Desintegration eines Persönlichkeitsanteils mit sich, der dann zum Vorschein kommt, wenn die Person „getriggert“ wird, also ihr Organismus sich in der aktuellen Situation an ein früheres Erlebnis erinnert und automatisch reagiert. So wie es zum ursprünglichen Zeitpunkt angemessen, schützend bis lebensrettend war. Der abgespaltene Persönlichkeitsanteil, der hier reagiert, ist abgeschottet von der Gesamtpersönlichkeit, desintegriert. Dies wiederum verursacht ein fundamentales Leid: Das Nichtverbundensein mit sich selbst (was zu vielerlei Krankheiten und Süchten führen kann). 

Das menschliche Wesen braucht die Verbundenheit mit anderen menschlichen Wesen, um in sich selbst diese Verbundenheit aufbauen und erhalten zu können. Der einfache Umstand, mit jemandem sprechen zu können, nachdem man Leid erfahren hat, kann Traumafolgestörungen verhindern. Wir sind miteinander verbundene Wesen. Indigene Völker, die ihre ursprünglichen Lebensweisen mitsamt ihren Ritualen und Zeremonien erhalten konnten, brauchen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, um diesen Tatbestand zu verstehen. Die sogenannte zivilisierte Welt hat jedoch Konsum, Leistung, Individualisierung und Selbstverwirklichung über die Zwecke der Gemeinschaft und der Natur gestellt und somit das über alles erhobene Individuum von sich selbst entfremdet. 

konflikte in teams

Was hat das zuvor Geschriebene nun mit Konflikten in Teams zu tun? 

Zum Einen ist es hilfreich zu wissen, dass eine nicht geringe Anzahl von Menschen Schwierigkeiten damit hat, Bindungen einzugehen. Zudem sind viele von uns selbst von Traumata betroffen, teilweise ohne sich dessen bewusst zu sein. Es lässt sich also nicht wie selbstverständlich erwarten, dass unter Mitarbeiter:innen eine vertrauensvolle Gemeinschaft entsteht. Genau diese vertrauensvolle Gemeinschaft wäre jedoch ein Garant für gutes, befriedigendes und innovatives Zusammenarbeiten. 

Machen wir ein kleines Gedankenexperiment: Nehmen wir an, es gab einen heftigen Streit zwischen zwei Mitarbeiterinnen. Beide sind verletzt und fühlen sich durch die andere gekränkt. Ähnlich wie bei einem Trauma, tragen sie kurz nach dem Streit eine offene innere Wunde mit sich. Beide wagen es nicht sich jemandem anzuvertrauen oder es gibt niemandem mit dem sie über das Ereignis sprechen könnten. Was geschieht nun mit der Wunde? Heilt sie ganz von allein, nach dem Motto: Die Zeit heilt alle Wunden? Vermutlich nicht. Stattdessen verkrustet die Wunde. Sie ist also nun geschützt, aber damit nicht geheilt. Eine Kruste ist nicht so sensibel und weniger verletzlich als eine offene Wunde. Sie ist hart und abweisend. Die beiden Mitarbeiterinnen haben sich eine „harte Schale“ angelegt, hinter der sie sich sicher fühlen. Dabei verfestigt sich das gegenseitige Misstrauen. 

Glauben Sie, dass dies ein gutes Zusammenarbeiten der beiden möglich macht? 

Die Aufgabe von Führungskräften...

… besteht darin, in ihrer persönlichen Entwicklung und im Wachstumsprozess der Organisation, Probleme zu analysieren, tief zu durchdringen und nach den bestmöglichen Heilmitteln (Konfliktlösungsstrategien) zu suchen.

HINWEIS: Die Aufgabe der Führungskraft besteht nicht darin, Therapeut/in zu sein oder therapeutisch zu wirken! 

benchmarking

Was können Führungskräfte in Unternehmen für den Umgang mit Konflikten aus der Trauma- und Resilienzforschung lernen?

Wir können davon ausgehen, dass jeder Mensch gewisse traumatische Erfahrungen gemacht haben, ob in der Kindheit, bereits vor der Geburt im Mutterleib oder später im Erwachsenenalter. Mit der Pandemie sind weitere individuelle und kollektive Traumata hinzugekommen, oder aufgebrochen. Wenn diese unbearbeitet bleiben, bewegen wir uns permanent in einer Umgebung von hohen Stressoren, die unter anderem zu erhöhtem Blutdruck, einem geschwächten Immunsystem, Ängsten, emotionalen Belastungen, psychosomatischen Symptomen und Leistungseinschränkungen führen können.

Schwer traumatisierte Menschen waren meist über einen längeren Zeitraum solchen und extremeren Stressoren ausgesetzt, zum Beispiel Kriegszuständen. Mit den schweren Traumafolgestörungen zurecht zukommen, bedarf mehrerer Faktoren und möglichst einer guten und bedarfsgerechten therapeutischen Begleitung. Hier möchte ich eine Methode nennen, die den Prozess der Selbstheilung enorm unterstützen kann:

heilsames schreiben

Im Harvard Business Review vom 01.07.2021 beschreibt die Autorin und Hochschuldozentin Deborah Siegel-Acevedo PhD. die positiven Affekte des emotionalen und expressiven Schreibens auf die Resilienz, also die Belastungsfähigkeit und insbesondere auf die psychische Gesundheit. (vgl. HBR )

Schreiben kann selbst schwerst traumatisierte Menschen aus dem Status des Opfers in den Status des Überlebenden erheben. Viktor Frankl, der seine Erfahrungen im Konzentrationslager niedergeschrieben und publiziert hat, ist nur ein Beispiel. 

Bevor ich dazu komme, diese Art der Traumabewältigung mit Konfliktlösungsstrategien für Teams in Unternehmen in Zusammenhang zu bringen, möchte ich meine eigene Erfahrung mit heilsamem Schreiben mit einer Gruppe geflüchteter Menschen, die überwiegend aus Terror- und Kriegsgebieten nach Deutschland kamen, kurz erläutern. 

storytelling for change

Ende 2017 initiierte ich ein Schreibprojekt mit geflüchteten und einheimischen Menschen unterschiedlichster Herkunft. Die Flucht- und Kriegstraumatisierten TeilnehmerInnen sind tief in ihre Erfahrungen eingetaucht, haben diese in wohlwollender Atmosphäre reflektiert und mit Unterstützung von einheimischen Sprachpatinnen einen Teil ihrer Geschichte verfasst und veröffentlicht. 

Im gesamten Projektverlauf über 7 Monate herrschte eine sehr verbindende und gleichzeitig zielgerichtete Atmosphäre. Seit die Geschichten fertig geschrieben und gedruckt waren, sind die AutorInnen auf über dreißig Lesungen mit ihren persönlichen Geschichten aufgetreten. 

Faktoren, die hier heilsam gewirkt haben, sind:

– Umgebung einer mitfühlenden Gemeinschaft,

– Achtsames Zuhören,

– (Retrospektives) Gestalten der eigenen Geschichte,

– Resonanz der ZuhörerInnen und LeserInnen auf die universellen Lebensthemen der AutorInnen.

anwendung in Unternehmen

Wie eingangs erläutert funktioniert ein Team (oder System) so gut wie jedes einzelne seiner Mitglieder (Teile). Führungskräften stellt sich hiermit die Aufgabe, die Gesundheit aller Mitglieder im Blick zu haben und für heilsame (förderliche) Bedingungen des Zusammenarbeitens zu sorgen. 

Achtsam sein, Aufmerksamkeit schenken und in Resonanz gehen mit den Anliegen der einzelnen Personen ist in Vorbildfunktion zu leisten. (Aus dieser Art der Achtsamkeitspraxis seinen Mitmenschen gegenüber kann übrigens eine enorme emotionale Befriedigung bezogen werden.) Auf dieser Grundlage können Teamentwicklungsprozesse begonnen werden, welche individuelle und kollektive Entfaltung ermöglichen. Dadurch wird die Innovationskraft der Organisation erheblich gesteigert. 

schlussgedanke: der wert des traumas

Ich bin davon überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema „Trauma“ allen Menschen helfen kann. Nicht nur, dass wir als Individuen Wege finden können, eigene Traumata aufzudecken und zu heilen. Wir sind auch von transgenerationalen Traumata direkt betroffen, also von unverarbeiteten Konflikten unserer Vorfahren. Auch die tragischen Ereignisse, die sich täglich in der Welt und unserer Umgebung zutragen, lassen uns nicht unberührt. Letztlich sind wir eine große Menschenfamilie, die miteinander auf vielfältige Weise verbunden ist. Jeder kleine und große Konflikt beruht in letzter Konsequenz auf der Annahme, wir Menschen seien voneinander getrennt, von unterschiedlichem Wert, unabhängig voneinander, in Konkurrenz. Doch vielerorts hat bereits die Revolution eingesetzt – die Rückbesinnung auf die Natur des Menschen:

Verbundenheit.

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